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Nuklearenergie als Brückentechnologie zur Energiewende? – Geopolitische Dimension unserer Stromerzeugung

AKW Leibstadt in der Schweiz. Es befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Leibstadt (Kanton Aargau, Schweiz) am Rhein nahe der Aare-Mündung und der deutschen Grenze bei Waldshut-Tiengen gegenüber der Ortschaft Dogern.
AKW Leibstadt in der Schweiz. Es befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Leibstadt (Kanton Aargau, Schweiz) am Rhein nahe der Aare-Mündung und der deutschen Grenze bei Waldshut-Tiengen gegenüber der Ortschaft Dogern.

Mit Interesse, aber auch kritisch verfolgt die europäische Öffentlichkeit seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten Deutschlands Weg zu Erneuerbaren Energien. Seinerzeit war es ein außergewöhnlicher Schritt, mit dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) den Weg hin zu erneuerbaren Energieträgern und weg von fossilen und nuklearen Brennstoffen einzuleiten. Dabei war auch damals den politischen Gestaltern bewusst, dass in einer Übergangsfrist einige dieser Energieträger weiter genutzt werden müssen.

Man setzte auf Erdgas als Brückentechnologie wegen seiner besseren CO2-Bilanz verglichen mit Öl und Kohle, und weil man Kernkraftwerke als unsicher ansah. Die deutsche Wirtschaft hatte in der Vergangenheit den Ausstieg aus der Steinkohleenergie und der Infrastruktur für Stadtgas auf vor allem russisches Erdgas gesetzt.

Stand heute: Die 100% Erneuerbaren sind noch unerreichbar, auch wenn Deutschland durchaus große Fortschritte gemacht hat. Das Erdgas entpuppte sich als schlechte Wahl. Wir machten uns dadurch abhängig von russischen Erdgaslieferungen. Diese Abhängigkeit setzt heute Russland unter Vladimir Putin gegen uns ein, um Europa während des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf Abstand zu halten.

Äußerst bitteren Geschmack hat dabei, dass Altkanzler Gerhard Schröder, unter dessen Kanzlerschaft das EEG eingeführt wurde, mittlerweile als russischer Gaslobbyist reich geworden ist.

Aus diesen Entwicklungen ist klar, dass die Entscheidung für die Erneuerbaren Energien auch und gerade aus geopolitischer Sicht richtig war und ist. Durch Energieerzeugung vor Ort strebt man eine geringere Abhängigkeit von Importen aus instabilen oder repressiven Regionen.

Auch wenn Erneuerbare Energietechnologien nach wie vor auf Ressourcen-Importe angewiesen sind, um die Stromerzeugung, und -leitung und -speicherung zu gewährleisten, lassen sich diese langfristig besser planen.

Wie bauen wir nun aber Brücken, bis wir ganz auf Erneuerbare umgestiegen sind?

Europa setzt weitestgehend auf Nuklearenergie. Die Diskussion in der EU, wie man Klimaziele erreichen sollte, hatten von Beginn an Nuklearenergie mit auf der Agenda. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde dies nochmals verstärkt. In Frankreich steht für die dortige Bevölkerung die Nuklearenergie nicht zur Disposition. In Schweden ist beginnend ab 2009, auch aufgrund der Bedrohungen durch Russland, aus dem Ausstieg wieder ausgestiegen, genauso in Belgien. Derweil hatte Italien nie auf Kernkraft gesetzt, und muss nun wie Deutschland neue Gaslieferanten suchen.

So sichert sich Italien u.A. durch Pipelines über das Mittelmeer die Gasversorgung aus Nordafrika. Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) wiederum ist in Qatar unterwegs, um Gaslieferungen von dort zu vereinbaren.

Eine europäische Initiative könnte hier natürlichhelfen natürlich helfen, die gemeinsame Versorgung und Verteilung zu vereinfachen. Zum Beispiel durch den Ausbau von LNG-Terminals zur Anlieferung von verflüssigtem Erdgas via Frachtschiffen, wie es unser EU-Abgeordneter Mikuláš Peksa von der Piratenpartei Tschechien in einem Beitrag vorgeschlagen hatte.

Gerade für Bündnis 90/Die Grünen ist es eine schwierige Zwickmühle. Einst dafür angesehen, dass ihr politischer Druck das EEG hervorbrachte und eine Perspektive für den Ausstieg aus fossilen und nuklearen Energieträgern entwickelte, muss jetzt ein grüner Wirtschaftsminister Erdgasquellen erschließen und eine Debatte um längere Nutzung der Kernkraft begleiten. Das sind schwierige Themen für die grüne Parteibasis.

Aber die europäische Debatte und der davon ausgehende Druck auf Deutschland ist natürlich nicht an den Grünen vorbeigegangen. Daher hat man erst mal „nur“ dafür gesorgt, dass Erdgasnutzung gegen Widerstand in der EU unbedingt mit in die EU-Energieziele (Taxonomie) als sinnvoll aufgenommen wurde. Mittlerweile aber hat auch Minister Habeck die Nuklearenergie als mögliche Brückentechnologie angesprochen.


Neuer Impuls für die Energiewende – diesmal europäisch denken

Um aus dieser Misere wieder herauszukommen, müssen wir also unsere Brückentechnologien neu organisieren. Diesmal müssen wir aber europäisch denken, und gemeinsame Wege nehmen.

Deutschlands massive Abhängigkeit von russischem Erdgas, die zuletzt offenbar wurde, rief einiges an Schadenfreude hervor. Die Idee der EU, dass alle Mitgliedsländer Gas sparen sollen und der freiwerdende Teil umverteilt werden könne, wurde zunächst beantwortet mit dem Satz: „Wir haben nicht über unsere Verhältnisse gelebt.“

Beispielsweise weiß Spanien, wo man weniger von russischem Erdgas abhängig ist, noch ganz genau, wie arrogant Deutschland diesen Satz in der Finanzkrise 2008 den Südeuropäern entgegenschleuderte.

Deutschland hat jetzt die Chance, beim Thema Energieversorgung eine Politik der Einigkeit mit der EU zu stützen, sodass die EU insgesamt gestärkt aus dieser Krise hervorgehen kann. Und das braucht Kompromissbereitschaft auch gegenüber bevorzugten Brückentechnologien unserer Nachbarn. Wenn zehn europäische Energieminister darunter Frankreich, Finnland und Tschechien, in einem Gastkommentar gemeinsam für den Ausbau der Atomenergie plädieren, sollte man es in Deutschland nicht einfach ignorieren.

Berlin hatte noch bis kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine jegliche Warnungen und Mahnungen der vor allem mittel- und osteuropäischen Partner vor dieser Situation in den Wind geschlagen. Auch war eine Debatte um die Folgen eines Ausstiegs nie wirklich europäisch und ehrlich geführt worden. Wichtiger denn je ist es daher, einen Austausch über die Landesgrenzen hinweg zu gestalten. Nur wenn wir gemeinsam diskutieren und zusammen an einer Lösung arbeiten, können wir ein gemeinsames Ziel erreichen.

Piratenpartei Deutschland im europäischen Verbund

Die Piratenpartei Deutschland ist Teil einer transnationalen Bewegung und seit jeher eng mit ihren Schwesterparteien in Europa verbunden. Daher sind wir uns bewusst, dass auch innerhalb der europäischen Piratenparteien ein breites Spektrum an Positionen zum Thema Energiepolitik existiert, und eine ergebnisoffene Debatte unter Partnern geführt werden sollte. So bekennen wir uns in unserem Grundsatzprogramm zur europäischen Familie, und sagen:

„Als Teil einer transnationalen politischen Bewegung, deren Kommunikationsraum keine staatlichen Grenzen kennt, sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung, den Bestand der europäischen Idee sicherzustellen. […] Europapolitik ist keine Außenpolitik.“ (Grundsatzprogramm)

Haben politische Parteien schon ein breites Meinungsspektrum, gilt das für die Menschen in Europa noch mehr. Daher müssen neben Parteiforen auch Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung geschaffen werden, insbesondere für so weitreichende Themen wie energiepolitische Ausrichtung. Im gemeinsamen Programm der europäischen Piratenparteien beschreiben wir daher:

„In einem Europa der Bürger und Regionen steht der Mensch mit seinem Handeln im Mittelpunkt. Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung am politischen Prozess auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene müssen transparent, einfach wahrzunehmen, barriere- und kostenfrei gestaltet werden, um die Demokratie und mit ihr die europäische Einigung zu stärken. […] Politischen Entscheidungen auf der europäischen Ebene müssen europaweite öffentliche Debatten vorausgehen, die es allen ermöglichen, sich angemessen zu beteiligen.“ (Präambel Europaprogramm)

Die Piratenpartei zeigt sich in ihrem Programm offen, verschiedene Technologien der Energieerzeugung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu diskutieren. So bekennt sie sich in ihrem Grundsatzprogramm zur evidenzbasierten Wissenschaft:

„Wissenschaftliche Erkenntnisse an sich unterliegen keiner ethischen Bewertung (…). Konkrete Verfahrensweisen sowie praktische Anwendungen neu gewonnener Erkenntnisse müssen hingegen auf deren Vereinbarkeit mit ethischen und gesellschaftlichen Normen überprüft und bei Notwendigkeit eingeschränkt werden. Eine solche Überprüfung darf sich dabei nicht einseitig auf die möglichen Gefahren und Risiken fokussieren, sondern muss vorrangig den Nutzen sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes in Betracht ziehen.“ (Grundsatzprogramm Wissenschaft und Forschung)

Es ist richtig, dass auch die Piratenpartei Deutschland in ihrem Wahlprogramm klare Position für Erneuerbare, und gegen Atomkraft bezieht. In der Europapolitik ist dies aber selbstverständlich mit Positionen unserer Partner in ein gemeinsames Konzept zu gießen, statt Sonderwege in Europas Mitgliedsländern zu gehen. Insbesondere wird es dabei Konsens geben bei Schritten hin zu mehr Erneuerbaren. Die Piratenpartei Deutschland hat in dieser Richtung auf ihrem jüngsten Parteitag ein Positionspapier angenommen (ausgearbeitet von unserer AG Energiepolitik), das Ziele und Sofortmaßnahmen formuliert, um auf das seit dem russischen Angriff auf die Ukraine veränderte Themenfeld Energiepolitik zu reagieren:

Die Piratenpartei Deutschland fordert von der Bundesregierung eine deutlich konsequentere Handlungsweise bei der Umstellung des Energiesystems mit den folgenden Primärzielen:

  • Schnellstmögliche Umstellung der gesamten Energieversorgung auf erneuerbare Quellen
  • Reduzierung der Abhängigkeit vom Import von Energie und Energierohstoffen
  • Einstellung von Subventionen für fossile Energie
  • Schaffung eines dezentralen Energiesystems

Dazu sehen wir folgende Maßnahmen als notwendig an:

Zusammengefasst: Europa wird energiepolitisch am besten auf das veränderte geopolitische Umfeld reagieren, indem es auf Erneuerbare setzt – und den Weg dahin als Gemeinschaftsaufgabe wahrnimmt. Auch wenn zwischenzeitlich Kompromisse getroffen werden müssen.

Dieser Beitrag wurde von der AG Europa geschrieben und ist noch keine offizielle Parteimeinung.

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