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Fakten und Fiktionen – Wie die Gesellschaft durch Unsicherheit gestresst wird

Dieser Vortrag von Schoresch Davoodi, ursprünglich auf dem „Hack the Promise“-Festival 2024 in Basel gehalten und von der Pirate Party  International kürzlich aufgegriffen, beleuchtet, wie der anhaltende Informationskrieg und die zunehmende Unsicherheit unsere Gesellschaft unter Stress setzen. Sie untersucht die Anfälligkeit für Fakes und kritisiert die oft hilflose Reaktion von Politik und Gesellschaft auf diese Phänomene, die dazu neigt, Probleme zu verdrängen statt sie grundlegend zu lösen.

Fakten und Fiktionen – Wie die Gesellschaft durch Unsicherheit gestresst wird

Es geht über Informationskrieg, Stress und die Anfälligkeit einer gestressten Gesellschaft auf Fakes. Vorweg kann man konstatieren, dass die Gesellschaft als Ganzes. Wie auch die Politik auf dieses Phänomen immer noch sehr hilflos reagiert und „Fake News immer nur die anderen machen.“

Man kann sehen wie in den letzten Jahren die Argumentation warum das Internet in den Augen vieler politischer Parteien zensiert gehört, sich vom Thema Urheberrechtsverletzung inzwischen mehr auf die vorgebliche Verteidigung der Demokratie und Abwehr von „Fake-News“ und „Propaganda“ verlegt hat. Hiermit erhoffen sich Teile der Politik eine „One-Size-Fits all Lösung“, welche verführerisch erscheint, da man nicht sich mit den tiefer liegenden Ursachen der Probleme beschaffen muss. Man doktert an den Symptomen herum anstatt an die Ursachen zu gehen.

Größere und gefährlichere Konsequenzen dieser Politik werden dann spätere Regierungen erben. Dazu kommt, dass durch diese Verlagerung der Argumentation gerade in Deutschland dazu geführt hat, dass man Netzstimmen mit Meinungs- und Diskursmacht besser an sich binden konnte und sie so oft genug dann in den Diskurs für eine Zensur des Internets gewinnen kann. Die Republica in Berlin in diesem Jahr, die Ausladung des damaligen Piraten EU Abgeordneten Patrick Breyer von der dortigen Podiumsdiskussion kurz vor den EU-Wahlen, und die dort auf diesem Podium getroffenen Aussagen der deutschen Autorin und Publizistin Caroline Emke fassen erschreckend zusammen, dass man Stimmen welche vor den Gefahren einer Zensur des Internets warnen, bewusst aus dem Diskurs ausgeschlossen hat. Die Zeitschrift Cicero nannte ihre dortigen Aussagen als „Predigerin der einzigen Wahrheit“ und kontestieret: „Der euphorische Applaus für Carolin Emckes Forderung nach Diskursverweigerung bei der Republica ist ein gruseliges Zeugnis woker Doppelmoral. Man will die Demokratie verteidigen, aber keine zwei Meinungen mehr zulassen.“1 Insgesamt zeigt es wie inzwischen der „Netz-Aktivismus“ in Deutschland inzwischen andere Prioritäten hat und inzwischen gezähmt und Formate und viele Netzpolitische Organisationen sich durch das Versprechen nach vermeidlicher Aufmerksamkeit sich selbst in die politische Bedeutungslosigkeit manövriert haben. Die Gefahr, dass diese in Deutschland netzpolitischen Formte, Organisationen und Aktivisten bald endgültig nur noch zu einem (netz-)politischen Feigenblatt zu werden drohen, hat sich in der Tendenz in den letzten Jahren massiv verstärkt.

Das Versprechen des Internets in Zeiten des Stresses

Das Versprechen des Internets gerät immer mehr unter Druck. Ein Versprechen welches so die Vision in den 1980iger Jahren, das mit dem Internet man einen Ort erschaffen zu haben, an dem jeder, der oder die eine Internetverbindung besaß, an der politischen Kommunikation gleichberechtigt teilnehmen konnte. Der Journalist Tarek Barkouni nannte es in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung vom März 2024 von einem in der heutigen Zeit „vergessenen Versprechen“. Er sieht vor allem des dominierenden Faktors der Sozialen Medien als eine wichtige Ursache für diese Entwicklungen. 2

Aktuell befinden wir uns in einem Zeitälter der Multikrisen. Sei es die damalige Corona Pandemie ab 2020 und dann der russische Überfall auf die Ukraine seit 2022. Dies geht in Deutschland einher mit einer Energiekrise welche laut einem Bericht des IW Köln vom September 2023 zu einem Wohlstandsverlust in Deutschland führte,3 auch wenn es das deutsche Wirtschaftsministerium im April 2023 anders bewertet,4 ändert es nichts an der Tatsache, dass es jedenfalls wird es als Krise in der Bevölkerung wahrgenommen, die nun Antworten von der Politik darauf erwartet. Die Angst vor sozialen Abstieg und oft auch einhergehend der Verlust von sozialem Prestige und politischem Bedeutungsverlust.

Die AG Außenpolitik der deutschen Piratenpartei hatte in einem Bericht aus dem Jahr festgehalten, dass wir aktuell eine beunruhigende Entwicklung durchlaufen, in der Politik und Medien unsere diffusen Ängste für ihre Selbstdarstellung ausnutzen und schüren. Das impliziert nicht nur eine fragwürdige Ethik, unmoralisches Verhalten und aggressive politische Dogmen. Es führt auch zu Entscheidungen mit sehr realen Folgen für unsere Stabilität, Sicherheit und nationale Verteidigungsfähigkeit.

Unsere menschlichen psychischen Schutzmechanismen (Verteidigung gegen Desinformationskampagnen, Propaganda, etc.) sind von dieser Verwundbarkeit gefährdet. Man vergisst leicht, wie sich unsere Lebensumstände auf unser Verhalten auswirken, und umgekehrt. Die jüngsten Krisen haben uns jedoch vor Augen geführt, wie sehr wir uns unter den geeigneten Umständen – zum Positiven wie zum Negativen – verändern können.5

Das Internet bietet hier im Guten wie im Schlechten viele Möglichkeiten diesen Stress und wie wir auf diese Meldungen reagieren können. Der bayrische Verfassungsschutz hatte in seine kürzlich erschienen Bericht über die russische Doppelgänger Kampagne gezeigt, wie Russlands Informationskrieg konkret diese Bruchstellen nutzen will um unsere demokratischen Gesellschaften zu spalten.6

Fatalerweise fällt der Politik und den Sicherheitsbehörden hier nur ein, dass man kurzfristig auf Repression und Zensur setzen soll. Dieser Ansatz wird derweil von den politischen Organisationen und Aktivisten lautstark dann weiter in den Diskurs getragen. Diese Vermeidlichen kurzfristigen und kurzschlussartigen Handlungen führen nur zu einer Verdrängung der Probleme als dass man sie wirklich angeht und ideologieneutral ohne Dogmen umfassend als Gesellschaft lösen kann. Das Gefährliche an Dogmen jeglicher Couleur ist es, dass sie Halt versprechen. Sie vereinfachen Sachverhalte und sind daher Wirkmächtig.

Peter Neuner geht in einer Ringvorlesung für die Maximilian Universität München 2006 auf die Wirkung und Funktion von Dogmen ein. Seiner Ansicht nach liegt vielleicht die schärfste Herausforderung: Dogmatisches Denken verlangt Unterwerfung unter eine fremde Autorität. Zum Dogma im allgemeinen Verständnis gehört, dass es nicht eingesehen, sondern allein auf Grundlage fremder Einsicht geglaubt werden kann. So sagt Neuner im Vortrag 2006, dass Berufung auf ein Dogma aber impliziert immer eine Autorität, die sich grundsätzlich eigener Einsicht entzieht. Nun ist es in unserer komplexen und komplizierten Welt durchaus nicht ungewöhnlich, dass man sich auf die Autorität und die Kapazität der Fachleute verlassen muss. Sie werden es schon richtig gemacht haben und weiterhin richtig machen. Aber diese Autorität der Fachleute steht immer unter dem Vorbehalt, dass – jedenfalls im Prinzip – jeder diese Einsicht überprüfen kann und dass andere Fachleute sie überprüft haben. Das Dogma dagegen entzieht sich prinzipiell einer solchen Überprüfung. Hier ist und bleibt der Glaube immer von fremder Autorität abhängig.

Eine solche Haltung aber ist dem neuzeitlichen Menschen immer weniger möglich. Kant hat auf die Frage „Was ist Aufklärung“ die berühmte Antwort gegeben: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […] Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“.7

Versprechen gebrochen – Was tun?

Das Internet agiert hier selbst als Janus Köpfiger Multiplikator, es kann helfen diese Dogmen wirkmächtig weiter zu verbreiten, als auch Mittel sein, dass man diesen (politischen) Dogmen sich entgegenstellt.

Das heutige aktivistische Milieu hat sich in der Vergangenheit mehr und mehr in ein Korsett einfacher Dogmen und Freund-Feind-Bilder wieder gekettet. Viele Teile der aktivistischen Netzbewegung in Deutschland sind ebenfalls diesen Weg gegangen, da ihnen der lange politische Weg durch die Institutionen zu anstrengend war. Aufgrund von Überforderung in einer komplexer werdenden Welt und dem Wunsch selbst Teil zu sein der für das vermeidlich gute Kämpft werden Widersprüche und Konsequenzen des eigenen aktivistischen Handelns zur Seite geschoben. Fatalerweise ist für viele konformitätskompatible Rebellion inzwischen zu einem Mittel für Erringung von Status und vermeidlicher Relevanz geworden, so dass dieses Milieu das Versprechen des Internets nach Freiheit und Egalität in der Debatte zur Bedrohung des eignen sozialen Status erwachsen wurde.

Man erkennt die Doppelte Bedeutung, dass im allgemeinen Aktivisten inzwischen zum politischen Schmuck vermeidlich progressiver Parteien geworden sind und wir einen Drehtürfaktor zwischen Parlament und Aktivismus im Allgemeinen in Deutschland haben. Dogmatik ist hier inzwischen ein wiedergewonnenes Mittel zur Machtgewinnung. Freiheit in der Debatte ohne Dogmatisch aktivistischen Überbau auf gleichberechtigter Ebene, wird so von verschiedenen Gatekeepern in Medien und Institutionen als Bedrohung wahrgenommen der entsprechend der eigenen Präferenzen begegnet werden muss.

Historisch hatten wir diese Entwicklungen in netzpolitischen und aufbrechen der Art des Status quo den Diskurs schon einmal Mitte bis Ende der 2000er erlebt, als mit dem Aufkommen der Piratenpartei welche den bisherigen netzpolitischen Platzhirschen wie beispielsweise Mario Sixtus im netzpolitischen Diskurs eine Reaktion abverlangt hatten.8

Das Versagen der lauten Teile der Netzpolitischen Bewegung in Deutschland und ihre Bereitwillige Loslösung und preisgeben der eigenen parteipolitischen und/oder politischen Identität ist ein politischer Sündenfall von dem sich de facto die Netzbewegung in Deutschland bislang nicht mehr erholt hat und aufgegangen ist in einem Wandgemälde vieler verschiedener Quasi-Nichtregierungsorganisationen. Es ist per Definition eine Organisation, die im Rahmen eines Regierungsauftrages eigenständig tätig ist und teilweise oder vollständig durch Regierungsmittel finanziert oder durch die Regierung anderweitig, etwa durch die Besetzung von Ämtern durch Hinter- oder Strohmänner, mittelbar gesteuert wird. Von der Rechtsnatur her ist eine solche Organisation als nichtstaatliche Körperschaft einzuordnen, die nicht in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist. Gewarnt wurde vor dieser generellen Entwicklung schon frühzeitig in der Fachliteratur,9 aber es hatte lange Jahre keinen Widerhall in der publizistischen oder gesellschaftlichen Debatte in Deutschland gefunden. Dabei wird diesen Quasi-Nichtregierungsorganisationen schon 2005 beispielsweise im Vereinigten Königreich von  Dan Lewis, Autor des Buchs „The Essential Guide to Quangos“ vorgeworfen, dass sie nur auf Kosten des Steuerzahlers teuer Dinge rezipieren aber oft keine eigenen Impulse setzen.10 Ähnliche Kritik findet sich inzwischen auch in der Deutschen Kritik an vielen NGOs wieder, auch weil der präzisere Begriff der Quasi-Nichtregierungsorganisation in Deutschland leider kaum gebräuchlich ist.

Es ist daher heutzutage wichtiger denn je, dass sich die netzpolitische Bewegung von Vermeidlichen Vorbildern und vermeidlichen Meinungsführern und Organisationen wieder emanzipiert und sich auf ihre Stärken besinnt. Ferner ist es wichtig, dass sie um das Versprechen des Internets einfordert u, es wieder neu einzulösen und dafür es neu zu erstreiten beginnt.

 

 

10Wikipedia, Quango, https://en.wikipedia.org/wiki/Quango, (Zugriff am 23.09.2024).

Dies ist ein Beitrag der Arbeitsgemeinschaft und nicht zwingend offizielle Parteimeinung.

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